Die alte INTERFLUG im www
Historische Betrachtungen zur einstigen DDR-Fluggesellschaft INTERFLUG

last updated:
10-Nov-2016


Revision 3.0
40. Jahrestag

Author: Dipl.-Ing. Jörn Lehweß-Litzmann
24.08.2016

40. Jahrestag der Flugzeugkatastrophe von Königs Wusterhausen

Am 14. August 1972 stürzte genau um 17.00 Uhr 11 km vom Flughafen Berlin-Schönefeld entfernt eine hier beheimatete Iljuschin IL-62 des Luftfahrtunternehmens INTERFLUG (IF) im Stadtgebiet von Königs Wusterhausen auf das Gelände des Wasserwerkes und Binnenhafens ab. Alle 156 Menschen an Bord, darunter vier Mann Cockpitcrew und vier Stewardessen, kamen ums Leben.

Die Maschine war 16.29 Uhr in Schönefeld in Westrichtung gestartet als Charterflug für das Reisebüro der DDR an die Schwarzmeerküste Bulgariens, Zielflughafen Burgas. Dieser Absturz galt seinerzeit für zweieinhalb Monate als die größte Flugzeugkatastrophe der Welt und ist es für Deutschland bis heute.
Für die zivile Luftfahrt der DDR war sie zugleich das erste Unglück, bei dem überhaupt ein Fluggast ernsthaft zu Schaden kam.
Obgleich das Flugzeug auseinanderbrechend und zum Tell brennend den um diese Zeit belebten Bahnhof der Kreisstadt vor den Toren Berlins (mit darinstehender S-Bahn sowie Halt des D-Zuges Görlitz-Köln) überquerte, einige herabstürzende Teile auch Dächer durchschlugen, wurde wie durch ein Wunder am Boden niemand verletzt.

In der Nähe wohnend, traf ich, Fachingenieur im ingenieurtechnischen Dienst der IF, alarmiert durch meine Mutter, Flieger-Inspektionsärztin am Flughafen, bereits 30 min. später mit meinem Wagen an der Absturzstelle ein. Es war ein sehr warmer, schweißtreibender Sommertag.

An der Brücke über den Nottekanal, erkannte ich ein-Stück vom Heckteil der Maschine mit der Aufschrift "SEA". Also hatte es ausgerechnet unser "Flaggschiff" mit dem Kennzeichen DM-SEA getroffen.

Ich hatte mit meiner in Moskau beim Hersteller erworbenen Fachlizenz auf dem Gebiet der Geräteausrüstung einige der Vorschriften und Wartungstechnologien erarbeitet sowie auch Schulungen des Wartungs- und fliegenden Personals durchgeführt.

Hatten wir etwa einen Fehler gemacht oder etwas Gravierendes übersehen?

An der HauptabsturzsteIle bot sich ein Bild des Grauens.

Der Mittelteil der Maschine lag rücklings im Gelände des Wasserwerkes und brannte unter starker Rauchentwicklung. Im Umkreis von 200 m waren die Menschen, die Gepäck- und Flugzeugteile aus dem vorderen Teil des Flugzeugs aufgeschlagen.
Auf dem Gelände rannten viele Schaulustige, meist Jugendliche und Kinder, herum. Die noch wenigeN Polizeikräfte und örtlichen Feuerwehrleute waren überfordert.
Fast gleichzeitig mit mir traf die Flughafenfeuerwehr ein, die jetzt deutlich professioneller die Absicherung der Brandstelle sowie den kontrollierten Abbrand des Kraftstoffes übernahm, damit möglichst wenig den Boden und das Grundwasser verunreinigte.

Wir, spontan eingetroffenen Techniker des Luftfahrtunternehmens fanden uns zusammen und beratschlagten was zu tun sei. Augenzeugen berichteten, es habe eine Explosion über der Stadt gegeben, die das Heck hinter den Triebwerken abgelöst habe, beim Absturz habe sich die Maschine überschlagen und das Cockpit und ein Tragflächenaußenstück waren dabei abgebrochen.
Als einzig anwesender Spezialist für die Geräteausrüstung konnte ich beisteuern, dass es keinen Sinn mache, in dem Gelände nach dem Havariedatenaufzeichnungsgerät (Blackbox) zu suchen, da es gemäß seinem Einbauort mit in dem brennenden Hauptteil liegen musste (wurde aber am folgenden Tag 230 m nordwestlich aufgefunden).

Uns war klar, dass eine systematische Untersuchung unter planmäßiger Führung und Dokumentierung der auswertbaren Fundstücke sowie deren Spurensicherung erfolgen musste. Gegen 20 Uhr erschien Verkehrsminister Arndt mit weiteren Funktionären, darunter sein Stellvertreter für die Luftfahrt Wilpert.

Man sprach nur mit dem Bürgermeister, dem Leiter des Polizeikreisamtes und dem Feuerwehr- Hauptmann. Statements wurden keine abgegeben. Diese Katastrophe traf die Behörden wie auch uns Luftfahrtexperten völlig unvorbereitet und fassungslos.
In der folgenden Nacht berief die Regierung eine Sachverständigenkommission ein, die schon im Morgengrauen die Tätigkeit aufnahm. Sie bestand aus 63 ständigen und 64 nicht ständigen Experten, die in 12 Gruppen die Untersuchung führten, im wesentlichen Spezialisten der Staatlichen Luftfahrtinspektion, der INTERFLUG und des Kriminaltechnischen Institutes beim Ministerium des Innern. Zu meiner und manch anderer Überraschung - ich war nach dem Abschluss des Studiums erst drei Jahre in dem Geschäft - traf mich die Mitteilung, dass ich auf Vorschlag meines Technischen Direktors als ständiges Mitglied in die Sachverständigenkommission, Gruppe- Systeme/Geräte berufen worden war.

In einer aufregenden, aufwendigen und damit sehr anstrengenden Arbeitsphase erfolgte in den folgenden drei Monaten die Abarbeitung aller aufgeworfenen Fragen. Wenige Tage danach reiste auch eine Expertengruppe des Herstellerwerkes unter Leitung des Generalkonstrukteurs G. W. Nowoschilow an, welche eine parallele Untersuchung führte.
Die sogleich erkennbare Ursache des Unglücks war ein verheerender Brand (evtl. ausgelöst durch eine Explosion) im Heck-Gepäckraum des Flugzeugs außerhalb der Druckkabine, welcher selbst Metall verflüssigt hatte (als Spritzer an Hecktrümmern vorgefunden) und den Festigkeitsverband des Rumpfes zwischen Triebwerken und Leitwerk, im Bereich der Heckstütze, so geschwächt hatte, dass das gesamte Heck abriss. Das Unglücksflugzeug war am 22. April 1970 mit einem Meeting anlässlich des 100. Geburtstages des russischen Revolutionsführers Lenin in Berlin-Schönefeld feierlich in Dienst gestellt worden.

Es hatte bis zum Absturz 3.520 Flugstd. (Fh) absolviert, zwei größere Checks in der Aeroflot-Werft Moskau-Domodjedowo erhalten, die letzte vom 15. Februar bis 15. April 1972, bei der auf gesonderte Anweisung des Herstellers die Dichtungen des Heißluftrohrsystems gewechselt worden waren. Seitdem hatte es 820 Fh abgeflogen, und nach weiteren 400-500 Fh wäre die erste Überholung in einem sowjetischen Reparaturwerk fällig gewesen.

Die Maschine hatte an diesem Tag die Moskaulinie bedient, war planmäßig ohne Beanstandungen um 14.30 Uhr in Schönefeld gelandet und zu dem Charterflug unter Kommandant Flugkapitän Heinz Pfaff ebenso planmäßig gestartet.
Der fast 52-jährige Pfaff galt als erfahren und umsichtig, bereits Pilot der Luftwaffe im 2. Weltkrieg, und er hatte seit 1958 auf Verkehrsmaschinen 8.024 Fh absolviert, davon 941 auf dem Typ IL-62.
Im Raum Cottbus beim Nachtrimmen des Höhenleitwerks (8.900 m) meldete er "Schwierigkeiten mit dem Stabilisator" und kurz darauf die Rückkehr nach Schönefeld, da man in Burgas keine technische Hilfe erwarten konnte.
Die Gespräche mit der Flugsicherung ließen nicht erkennen, dass man eine außergewöhnliche Situation vorhersah. Eine Brandmelde- und -Löschanlage besaß der Heckgepäckraum nicht, sie hätte aber auch nichts signalisiert, da der Brand noch nicht ausgebrochen war.
Die Landung sollte in Schönefeld "normal" erfolgen, wozu man auch im Luftraum 10 km südlich KWH 5 t Kraftstoff (KS) in der zugewiesenen Höhe von 1.850 m mit Westkurs ablassen wollte, um das zulässige Landegewicht von 105 t zu erreichen. Danach kurvte die Maschine um das Städtchen Zossen, und beim Ausleiten setzte die Besatzung den ersten Notruf ab (1 min. vor dem Absturz!): "Mayday! Kurs 90·, unmöglich Höhe zu halten!"
Offenbar hatte der Brand hier das Höhenrudergestänge bzw. deren Führung zerstört. Die Besatzung versuchte, durch Erhöhung des TW-Schubes den Höhenverlust auszugleichen, was eine Wellenbewegung des Flugzeuges erzeugte. Nur 3 sec. später: "Wir steigen leicht und hatten Brand!"

Genau um 17.00 Uhr riss, über der Unglücksstadt, der durch den Brand geschwächte Rumpf zwischen den Triebwerken und dem Leitwerk ab, und der Absturz erfolgte daraufhin in einem steilen Bahnneigungsflug, bei dem noch der schwere Cockpit-Bug und das linke Außenstück der Tragfläche abbrachen.
Der Hauptteil mit Triebwerken schlug rücklings in das Wasserwerksgelände und brannte durch den Aufschlagbrand vollständig aus. Die Untersuchung konzentrierte sich auf das Herausfinden der Brandursache.
Dazu wurden in einer Werfthalle das Heckteil aus den aufgefundenen Originalteilen rekonstruiert und eine Attrappe aufgebaut. Das Kriminaltechnische Institut untersuchte in Langzeitversuchen das Verhalten der Leitungen und der Materialien im Heißluftstrahl. Ein Anschlag oder Flug durch die eigene KS-Wolke (Spekulation westdeutscher Medien) konnte sehr bald ausgeschlossen werden.
Eine undichte Heißluftleitung (Dichtungsfehler, Montagemangel, oder lockere Rohrverbindung) unter dem Fußboden des Heckgepäckraumes muss über einen längeren Zeitraum 300°C heiße Luft mit einem Druck von 7 at auf einen daneben verlegten Kabelbaum geblasen haben.

Die nicht brennbare Isolation der Elektroleitungen verkohlte allmählich und platzte schließlich durch die Vibration ab.
Das führte zu Kurzschlüssen und Geräteausfällen ab 2 min. nach dem Start sowie dann ca. 6 min. vor dem Absturz zum Zünden von erhitztem Magnesiummaterial der Flugzeugkonstruktion durch einen Kurzschlusslichtbogen.
Der Abbrand des Materials mit 2.000 °C zerstörte zunächst die Höhensteuerung und schweißte kurz darauf das gesamte Heck ab.
Die Untersuchung ergab weiter, dass alle Manöver, Handlungen der Crew sowie der Dienste vor und während des Fluges exakt verlaufen waren. Die Besatzung konnte bis 1 min. vor dem Abriss des Hecks den Brand und die Gefahrensituation nicht erkennen.
Aber durch Erhöhung des Triebwerksschubes in der letzten Minute hat sie womöglich noch Schlimmeres verhindert, indem die großen Flugzeugteile nicht die Freifläche hinter der Stadt wie auch dem Bahnhof erreichten.

60 der verstümmelten und stark verkohlten Leichen konnten nicht identifiziert werden. Mit einem Staatstrauerakt erhielten sie ihre letzte Ruhe- und Gedenkstätte auf dem Waldfriedhof des Nachbarortes Wildau.

Die anderen Opfer wurden von ihren Angehörigen und Gemeinden beigesetzt. Die Anwohner der Absturzstelle, bei denen das Erlebnis in unauslöschlicher Erinnerung ist, errichteten und pflegen seitdem hier eine kleine Gedenkstätte.

Die Staatliche Versicherung der DDR zahlte an die Angehörigen 1,7 Mio. Mark Entschädigungen. Die Beseitigung des Flurschadens kostete 507 TM.

Die Regierung der UdSSR äußerte sich nicht zu der Katastrophe und dem Untersuchungsbericht.
Mitte 1973 wurde dem Verkehrsministerium der DDR eine Stellungnahme des Generalkonstrukteurs Nowoschllow zugestellt, in der dieser ausführte, dass er dem Untersuchungsbericht nicht zustimmen könne. Eine andere Ursache nannte er allerdings auch nicht.
Jedoch wurden alle geforderten Maßnahmen und Änderungen vom Hersteller kommentarlos akzeptiert und in den ab 1973 gelieferten Maschinen realisiert.

Der Leiter der Regierungskommission, Wilpert, empfahl der Regierung, "die Sache auf sich beruhen zu lassen", da er um die politische Brisanz in den kommunistischen "Bruder" Beziehungen wusste.
Und, da die sowjetische Seite die Zustimmung verweigert hatte, regte er an, über die Pressemitteilung vom 14. September 1972 hinaus keine weiteren zu der Katastrophe mehr zu machen.
Jene hatte schon ziemlich genau über die Ursache des Unglücks informiert, galt aber als Teilinformation und nicht abschließend.

Erich Honecker segnete die Empfehlung am 11. Dezember 1973 mit der Bemerkung: "Einverstanden" ab.

Damit war auch geklärt, dass der Staatshaushalt der DDR für die notwendige Ersatzmaschine (40 Mio. Mark) und den Schadensausgleich aufkam.
Für die DDR fiel das nicht sonderlich ins Gewicht, da man sowieso stets einen großen Überhang in der Handelsbilanz hatte.

Für die Techniker der INTERFLUG war es fortan eherne Verpflichtung, den Heißluftsystemen ihrer Flugzeuge das besondere Augenmerk zu widmen. Man führte eine regelmäßige "Klima-Sonderkontrolle" ein, bei der das Rohrleitungssystem auf Dichtheit überprüft und die Verschraubungen nachgezogen wurden. Das Trauma der DM-SEA wirkte noch lange nach, im Übrigen auch bei Augenzeugen und Anwohnern.

Ein auch nur in Ansätzen ähnliches Vorkommnis wiederholte sich nicht.

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